Samstag, 29. November 2025

„Stille Waffen im digitalen Alltag – meine persönlichen Überlegungen zu Macht, Daten und Arbeitswelt“

Ich lebe in einer Zeit, in der viel von Digitalisierung, künstlicher Intelligenz und Big Data gesprochen wird, und gleichzeitig spüre ich im Alltag, wie schwierig es geworden ist, einen stabilen Platz im Arbeitsleben zu finden. In den letzten Jahren habe ich als arbeitssuchende Person erlebt, wie Entscheidungen über meine Chancen oft im Hintergrund getroffen werden – durch Regeln, Computerprogramme, Statistiken oder bürokratische Vorgaben, die ich nur teilweise verstehe. Das Bild der „stillen Waffen“ hilft mir, darüber nachzudenken: Es geht nicht um Panzer und Gewehre, sondern um leise, oft unsichtbare Mechanismen, die beeinflussen, wer Unterstützung bekommt, wer Chancen erhält und wer an den Rand gedrängt wird.​

Ich schreibe diese Zeilen, weil ich versuche, meine Erfahrungen und Beobachtungen zu ordnen und verständlich zu machen – auch für mich selbst. Dabei geht es mir nicht darum, eine große Verschwörung zu beweisen, sondern darum zu zeigen, wie Macht heute oft technisch, statistisch und organisatorisch ausgeübt wird.​

Wirtschaft und Unsicherheit

Wenn ich auf die letzten Jahre schaue, sehe ich viele Menschen, die trotz guter Gesamtzahlen am Arbeitsmarkt in unsicheren Situationen leben: befristete Verträge, Teilzeit, Leiharbeit, niedrige Löhne und die ständige Angst, „nicht mehr gebraucht“ zu werden. Statistiken zeigen, dass Langzeitarbeitslosigkeit ein hartnäckiges Problem bleibt und dass gerade Menschen, die einmal länger draußen sind, es besonders schwer haben, wieder einzusteigen. Gleichzeitig steigen Anforderungen durch Digitalisierung und Globalisierung, während Qualifikationen schneller veralten.​

Für mich fühlt sich Wirtschaftspolitik manchmal wie ein unsichtbarer Regler an: Zinsen, Förderungen, Budgetkürzungen, Sanktionen – all das wird in der Sprache von Prozenten, Programmen und Paketen verhandelt, aber unten spürt man es sehr konkret. Wenn Leistungen gekürzt werden oder Förderbedingungen sich ändern, verändern sich auch meine Handlungsmöglichkeiten, selbst wenn ich nicht an den Verhandlungen beteiligt war. In diesem Sinn erscheinen mir Sparprogramme, Aktivierungslogik und strenge Zumutbarkeitsregeln wie „stille Waffen“: Sie greifen nicht jemanden direkt an, aber sie verschieben die Grenzen dessen, was für Menschen in meiner Lage möglich ist.​

Daten, Algorithmen und Sortierung

Ein Bereich, der mir zunehmend Sorgen macht, sind die Systeme, die Menschen mit Hilfe von Daten und Algorithmen sortieren. Im Arbeitsmarkt werden bereits Modelle eingesetzt, die aus vergangenen Daten Prognosen berechnen, wie hoch die Chancen einer Person sind, wieder Arbeit zu finden. Aus dieser Berechnung entstehen Gruppen, und diese Gruppen bekommen unterschiedliche Unterstützung – etwa mehr oder weniger Zugang zu Weiterbildung.​

Aus technischer Sicht mag das effizient wirken: Man konzentriert Ressourcen dort, wo die Erfolgswahrscheinlichkeit statistisch gesehen höher ist. Aus der Sicht einer betroffenen Person fühlt es sich anders an. Wenn ich in einer Gruppe lande, die als „schwer vermittelbar“ gilt, besteht die Gefahr, dass genau diese Einstufung dazu führt, dass ich noch weniger Unterstützung bekomme – und die Prognose sich damit selbst erfüllt. Die „stille Waffe“ ist hier nicht der einzelne Sachbearbeiter, sondern das Zusammenspiel aus Algorithmen, Kategorien und Regeln, das mich in eine bestimmte Schublade legt.​

Hinzu kommen andere Formen von Datennutzung: Bonitätsscores, digitale Spuren, Social‑Media‑Profile, automatisierte Vorauswahl von Bewerbungen. Vieles davon geschieht, ohne dass ich genau weiß, nach welchen Kriterien entschieden wird oder wie lange Daten gespeichert werden. Das verlagert Macht in Datenbanken und Modelle, die ich weder einsehen noch ernsthaft beeinflussen kann.​

Sozialstaat zwischen Hilfe und Kontrolle

Der Sozialstaat ist für mich eine ambivalente Figur. Einerseits gibt es ohne ihn für viele Menschen, inklusive mir, Zeiten, in denen gar nichts mehr ginge – keine Miete, kein Essen, keine Weiterbildung. Andererseits ist die Unterstützung oft an Bedingungen geknüpft, die sich wie ein ständiger Test anfühlen: Termine, Nachweise, Bewerbungsquoten, Mitwirkungspflichten.​

Mit der Digitalisierung können Behörden immer mehr Daten verknüpfen und auswerten. Theoretisch ließe sich das nutzen, um frühzeitig zu helfen, Hürden zu erkennen und Angebote besser auf Menschen zuzuschneiden. Praktisch besteht aber immer die Gefahr, dass Datenauswertung vor allem als Kontrollinstrument eingesetzt wird: um Sanktionen zu begründen, um „Fehlverhalten“ zu finden oder um Budgets zu senken. Für Menschen in einer verletzlichen Lage kann sich das so anfühlen, als würde jede Bewegung beobachtet und bewertet. Dann wird aus der versprochenen Sicherheit leicht ein System, das Druck ausübt und Angst erzeugt.​

Medien, Aufmerksamkeit und unsichtbare Geschichten

Ein weiteres stilles Instrument sind für mich Medienalgorithmen. Plattformen entscheiden durch ihre Empfehlungen, welche Themen Aufmerksamkeit bekommen und welche unsichtbar bleiben. Erfolgreich sind Inhalte, die stark polarisieren, schnelle Emotionen auslösen oder sich gut teilen lassen. Die leisen, komplizierten Geschichten – etwa die Realität von langzeitarbeitslosen Menschen oder die Folgen von Algorithmeneinsatz im Sozialstaat – gehen dabei schnell unter.​

Für meine eigene Wahrnehmung bedeutet das: Was ich im Feed sehe, ist nicht einfach „die Realität“, sondern eine gefilterte Auswahl. Wenn ich mich darüber nicht bewusst bin, entsteht leicht der Eindruck, alle anderen seien erfolgreicher, sicherer, klarer unterwegs als ich. Auch das wirkt wie eine stille Waffe: nicht durch direkte Propaganda, sondern durch ein verzerrtes Bild, das mich verunsichert und isoliert.​

Chancen von KI – und Risiken der Steuerung

Künstliche Intelligenz erlebe ich persönlich sehr ambivalent. Auf der einen Seite nutze ich sie als Werkzeug: Sie unterstützt mich beim Schreiben, Strukturieren und Formulieren, was mir mit Dyslexie hilft und mir erlaubt, meine Gedanken klarer sichtbar zu machen. Auf der anderen Seite weiß ich, dass dieselben Technologien genutzt werden, um Lebensläufe zu filtern, Gesichter zu erkennen, Bewegungen zu analysieren und Menschen nach Mustern einzuordnen, die sie nicht kennen.oeaw+2

Für mich ist KI daher kein Freund oder Feind, sondern ein Verstärker. In einem System, das auf Effizienz, Kontrolle und Selektion ausgerichtet ist, werden KI‑Werkzeuge diese Ziele verstärken. In einem System, das auf Teilhabe, Unterstützung und Fairness ausgerichtet ist, könnten sie dagegen helfen, Barrieren abzubauen – etwa durch bessere Zugänge zu Bildung, durch individuelle Unterstützung oder durch transparentere Entscheidungen. Im Moment habe ich den Eindruck, dass beide Richtungen gleichzeitig existieren und im Konflikt miteinander stehen.​

Meine Haltung und mein Wunsch

Ich glaube nicht, dass eine allmächtige, perfekt organisierte Elite im Hintergrund jeden Schritt der Gesellschaft steuert. Ich sehe aber sehr deutlich, dass Macht heute auf eine Weise ausgeübt wird, die oft technisch, bürokratisch und statistisch verpackt ist – und dass Menschen wie ich die Folgen spüren, ohne die Spielregeln mitbestimmen zu können.​

Das Bild der „stillen Waffen“ hilft mir, kritisch zu bleiben:

  • bei wirtschaftlichen Entscheidungen, die als Sachzwang präsentiert werden;​

  • bei Datensystemen, die Menschen sortieren, ohne ihnen echte Mitsprache zu geben;oeaw+1

  • bei Medienmechanismen, die Aufmerksamkeit verzerren.​

Mein Wunsch ist, dass Digitalisierung und KI nicht nur zur Optimierung von Budgets und Prozessen genutzt werden, sondern zur Stärkung von Menschen – besonders jener, die schon am Rand stehen. Dazu gehören für mich Transparenz über Algorithmen, Rechte auf Einsicht und Widerspruch, und echte Beteiligung an der Gestaltung der Systeme, die über unser Leben mitentscheiden.​

Ich schreibe diesen Text nicht, weil ich alle Antworten habe, sondern weil ich Fragen stellen und Erfahrungen sichtbar machen will. Vielleicht ist der erste Schritt, die stillen Waffen wenigstens zu benennen – damit daraus irgendwann offene Werkzeuge werden, mit denen wir gemeinsam eine gerechtere und menschlichere Gesellschaft gestalten können.​​

  • „Diese Überlegungen spiegeln meinen aktuellen Blick auf stille Formen von Macht, Daten und Arbeitswelt wider. Sie sollen keine endgültigen Antworten geben, sondern Fragen stellen und zur Diskussion einladen.“

  • „Salzburg, am 29 Novembre.2025“

  • „Stevo Zelenović“

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